Der Sprung im Krug

DER SPRUNG IM KRUG – Eine Geschichte für alle, die sich manchmal unzulänglich fühlen

Es war einmal eine alte Frau. Jeden Tag schöpfte sie zwei Krüge voll Wasser am Fluss und trug sie nach Hause. Die beiden Tonkrüge befestigte sie an den Enden einer Stange, welche sie auf den Schultern trug. Einer der Krüge hatte einen Sprung, während der andere makellos war und stets eine volle Portion Wasser fasste. Der Krug mit dem Sprung jedoch war am Ende der langen Wanderung vom Fluss zum Haus der alten Frau immer nur noch halb voll.


So ging es jeden Tag, jahrein, jahraus, und die alte Frau brachte immer nur anderthalb Krüge Wasser mit nach Hause. Der makellose Krug war natürlich sehr stolz auf seine Leistung, auf die perfekte Erfüllung seines Daseins und er brüstete sich damit; der arme Krug mit dem Sprung aber schämte sich wegen seiner Unvollkommenheit und war unglücklich, nur halb so viel zustande zu bringen als das, wofür er geschaffen worden war.


Nach Jahren nahm sich der alte Krug endlich ein Herz und er sprach zu der Frau: „Ich schäme mich so wegen meines Sprungs. Es ist meine Schuld, dass du nie das ganze Wasser nach Hause bringen kannst und die Hälfte davon unterwegs versickert.“


Die alte Frau lächelte. „Ich möchte dich bitten, heut auf dem Rückweg vom Fluss die wunderschönen Blumen am Wegesrand zu betrachten.“ Und tatsächlich: als der Krug an diesem Tage vom Fluss hochgetragen wurde, da bemerkte er die herrlichen Blumen auf einer Seite des Weges. Ihre leuchtenden Farben und ihr süßer Duft machten den alten Krug froh.


Doch kaum zu Hause, wurde er wieder ganz betrübt, denn wie immer hatte er nur die Hälfte des Wassers heimbringen können. „Danke, dass Du mich mit den Blumen aufmuntern wolltest“, sprach er traurig zu der alten Frau, „aber es hilft doch alles nichts.“


„Ist dir aufgefallen“, erwiderte sie liebevoll, „dass auf deiner Seite des Weges Blumen blühen, aber auf der Seite des anderen Kruges nicht? Das ist deinem Sprung zu verdanken. Ich habe auf deiner Seite des Pfades Blumensamen gesät, und nun gießt du sie jeden Tag, wenn wir nach Hause laufen.

Wenn du nicht so gewesen wärest wie du bist, hätte es niemals diese Pracht gegeben. Ich hätte einen neuen Krug kaufen können – aber das wollte ich nicht. Stattdessen erfreue ich mich jeden Tag an der Schönheit der Blumen.“

aus Indien

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